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ANOM-Chatverlauf, Verwertbarkeit, Beweisverwertungsverbot

Nachdem das LG Memmingen die Erkenntnisse aus der Auswertung gesicherter Chatverläufe des Krypto-Messengerdienstes „ANOM“ mangels Überprüfbarkeit für nicht verwertbar gehalten hat, hat das OLG München dies nunmher bestätigt.

1.
Die Strafkammer des Landgerichts Memmingen hat in ihrem Beschluss Ausführungen zu ANOM gemacht und gerügt, dass die Identität des Drittlands bei ANOM (anders bei Encrochat: dort war es bekanntermaßen Frankreich) unbekannt sei. Daher lägen auch keine Gerichtsbeschlüsse aus dem unbekannten Drittland vor. Trotz entsprechenden Ermittlungsbemühungen der Strafkammer seien solche auch nicht vorgelegt worden.

Aus den im Verfahren 1 KLs 401 Js 22809/21 vorgelegten dienstlichen Stellungnahmen zweier Beamter der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 06.04.2022 (Bl. 1709/1711) und vom 13.04.2023 (Bl. 1714/1718) gehe hervor, dass das FBI selbst die Plattform ANOM entwickelt und betrieben hat. Auch der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist weder das Drittland, bei dem es sich um einen Mitgliedsstaat der EU handeln soll, noch die dort nach der Behauptung des FBI ergangenen Gerichtsbeschlüsse bekannt.

Eine Einsichtnahme und Überprüfung der Gerichtsbeschlüsse zur Erhebung der ANOM-Daten sei den Verfahrensbeteiligten und der Strafkammer daher nicht nur derzeit, sondern auch künftig nicht möglich aufgrund der auch für die Zukunft verweigerten Preisgabe weiterer Information durch das FBI. Das Drittland habe um Anonymität gebeten.

Beweisverwertungsverbote greifen nur beim Vorliegen schwerer Mängel ein. Es müsse also – so führt die Strafkammer im Ablehnungsbeschluss aus – ein schwerer Mangel vorliegen, der das gegenseitige Vertrauen erschüttere. Nur das könne ein deutsches Gericht feststellen.

Im Rahmen von Haftvorlagen bzw. Beschwerdeentscheidungen hätten sich auch Gerichte so positioniert, dass die ANOM-Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit bzw. vorläufig als vertretbar angesehen wurden (OLG Saarbrücken, B. vom 30.12.2022 – 4 HE 35/22; OLG Frankfurt a.M., B. vom 14.02.2022 – 1 HEs 509/21; B. vom 22.11.2021 – 1 HEs 427/21; OLG Karlsruhe, B. vom 29.11.2021 – HE 1 Ws 313-315/21; OLG Thüringen, b. vom 17.01.2022 – 3 Ws 476/21; OLG Stuttgart, B. vom 21.12.2021 – H 6 Ws 176-177/21).

Die Rechtsprechung zu EncroChat-Fällen, bei denen bekannt sei, dass sich der Server in Frank-reich befunden habe und die erforderlichen Beschlüsse durch französische Gerichte erlassen wurden, sei auf die ANOM-Chatverläufe nicht übertragbar.

Für den Angeklagten bestünde somit mangels Bekanntgabe gerichtlicher Beschlüsse im Drittland, das auch als solches gerade nicht genannt werde, keine Verteidigungsmöglichkeit gegen die erfolgte Überwachung. Er könne sich gegen – nicht nachvollziehbar belegte – gerichtliche Be-schlüsse aus einem nicht bekannt gegebenen Drittland nicht zur Wehr setzen. Es bestehe für den Angeklagten damit eine mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht vereinbare Rechtsschutzlücke.

Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 07.09.2023, bei Gericht eingegangen am 11.09.2023, Beschwerde ein, der das Landgericht Memmingen mit Beschluss vom 11.09.2023 nicht abgeholfen hat.

Mit Schreiben vom 26.09.2023, beim Senat eingegangen am 27.09.2023, legte die Generalstaatsanwaltschaft München dem Senat die Akten vor mit dem Antrag, auf die Beschwerde hin den Be-schluss des Landgerichts Memmingen vom 04.09.2023 aufzuheben, Haftbefehl gegen den Angeklagten entsprechend dem Antrag vom 25.07.2023 zu erlassen und Beschränkungen nach §§ 116b, 119 StPO anzuordnen.

2.
Die zulässig eingelegte Beschwerde erweist sich als unbegründet.

Es besteht nach derzeitigem Verfahrensstand kein dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten. Diese können alle nur bei der Bejahung der Verwertbarkeit der den Angeklagten belastenden ANOM-Chats nachgewiesen werden. Nach derzeitigem Aktenstand erscheint im gegenständlichen Verfahren eine Verwertbarkeit der ANOM-Chats als Beweismittel aber zweifelhaft.

Zu den von der Beschwerdeführerin genannten gerichtlichen Entscheidungen ist festzustellen, dass jedenfalls der BGH über eine Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit von ANOM-Chats noch nicht entschieden hat. Zur Überzeugung auch des 1. Strafsenats nach derzeitiger Aktenlage erscheinen die Ausführungen des BGH zu Encro-Chats als solche nicht übertragbar auf ANOM-Chats, da diese ANOM-Chats auf flächendeckenden Maßnahmen des US-amerikanischen Federal Bureau of Investigation (FBI) beruhen, dazu ein Drittland weder vom FBI, noch vom US-amerikanischen Justizministerium benannt wird, obwohl dieses den befragten Stellen bekannt sein müsste, und zugleich von den befragten US-amerikanischen Stellen nur behauptet wird, dass in einem Drittland gerichtliche Entscheidungen ergangen seien.

Hierbei war auch folgendes zu bedenken: Das FBI ist die zentrale Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten. In ihr sind sowohl Strafverfolgungsbehörde als auch Inlandsgeheimdienst der US-Bundesregierung zusammengefasst. Als Nachrichtendienst betreibt das FBI die Vorfeldaufklärung möglicher Bedrohungen unabhängig von konkretem Verdacht. Daneben leistet das FBI auch im Wege der Amtshilfe technische Unterstützung für andere Ermittlungsbehörden.

Weder das FBI, noch das US-amerikanisches Justizministerium geben das Drittland bekannt. Sie behaupten, in diesem – in Europa liegenden – Drittland seien Gerichtsbeschlüsse ergangen, ohne dass das Landgericht Memmingen hier, mangels Erkenntnissen zum Drittland und zu dort ggf. ergangenen Gerichtsbeschlüssen, irgendeine Art von Ansatzpunkten für eine Überprüfung hat.

Dies haben die Gerichte bei ihren vorgenannten Entscheidungen für unschädlich gehalten. Dem steht gegenüber, dass in der Literatur bereits die Verwertbarkeit von Encro-Chats als Beweismittel durchaus umstritten war und ist.

Die vorgenannten Zweifel an der – vom BGH jedoch bejahten – Verwertbarkeit der EncroChats haben im gegenständlichen Strafverfahren betreffend den Nachweis von Tathandlungen nur durch die ANOM-Chats umso stärkeres Gewicht, als hier bereits ausführliche Aufklärungsarbeit im Strafverfahren durch das Landgericht geleistet wurde, ohne dass ein Drittland benannt oder bekannt wurde und es auch in Zukunft offenbar nicht benannt werden wird. Auch das Vorbringen, es habe im Drittland Gerichtsentscheidungen gegeben, steht ohne Nachweis im Raum, auch dies hat die Hauptverhandlung vor dem Landgericht bereits ergeben. Im gegenständlichen Strafverfahren erscheint daher die Verwertbarkeit der ANOM-Chats mindestens zweifelhaft, weswegen die ANOM-Chats im derzeitigen Aktenstand keinen dringenden Tatverdacht begründen. Hierbei war folgendes zu bedenken:

Die ANOM-App diente dem FBI zur Abhörung vermeintlich abhörsicherer Handykommunikation. Diese App schuf das FBI selbst und vertrieb sie über ein Scheinunternehmen für verschlüsselte Telefone. Einmal installiert konnte auf dem Handy nur noch über ANOM kommuniziert werden. Alle außerhalb der USA versandten Nachrichten waren mittels eines Masterkeys des FBI zu entschlüsseln (OLG Frankfurt NJW 2022, 710), sie wurden automatisch gespiegelt und an einen zentralen Server weitergeleitet. Der Server durfte nicht auf US-amerikanischem Boden stehen und das FBI durfte mit dieser Methode keine US-Bürger abhören. Ein erster Server wurde deswegen in Australien gehostet, dessen Gerichte untersagten jedoch die Datenweitergabe an die USA und weitere Staaten.

Der BGH hat über die Verwertbarkeit von ANOM-Chats bislang nicht entschieden.

Die EncroChats, die vom BGH für verwertbar gehalten wurden, sind jedoch mit den Problemstellungen bei den ANOM-Chats nur schwerlich vergleichbar. Denn bei ANOM ist weder das vom FBI (nach Australien) als neues Drittland gewonnene Drittland bekannt, noch die von diesem unbekannten Drittland erlassenen gerichtlichen Beschlüsse.

Durch die Trennung von beweiserhebendem und beweisverwertendem Staat werden bei der Ver-wertung von ANOM-Chats die Verteidigungsrechte von Angeklagten erheblich beschränkt; es werden aber auch die Aufklärungsmöglichkeiten des befassten Strafgerichts erheblich eingeschränkt, ohne dass bei Beginn der Abörmaßnahmen ein individualisierter Tatverdacht gegen die betroffenen Personen überhaupt vorlag. Im Gegenteil, die ANOM-App wurde vom FBI unbeschränkt verbreitet und die Abhörung unbeschränkt vorgenommen, ob die Nutzer zuvor hinreichend verdächtig waren oder nicht. Aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel daran, ob für die Datenerhebungen nach US-amerikanischem Recht oder nach deutschem Recht eine Ermächtigungsgrundlage besteht. Gleiches gilt für die Weitergabe von Daten an die ermittelnden Behörden.

Zudem ist derzeit beim EuGH unter Az.: C-670/22 aufgrund einer Vorlage durch das Landgericht Berlin ein Verfahren zu EncroChats anhängig. Auch beim Bundesverfassungsgericht sind noch einige Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit EncroChat anhängig.

Da die Verwertbarkeit der ANOM-Chats im gegenständlichen Strafverfahren nach derzeitigen Verfahrensstand somit fraglich ist, kann sich hierauf kein dringender Tatverdacht (für den Erlass eines Haftbefehles) stützen.

Oberlandesgericht München
1 Ws 525/23
1 KLs 401 Js 14034/23 Landgericht Memmingen

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